Nur die Wunden dir gezeigt werden, können heilen: Ein Interview mit der Mazedonischen dokumentaristin

Ende Oktober 2012 interviewte Ivana Knesevic für ihr Filmprojekt „Balkan Express“ Biljana Garvanlieva in Skopje. Das Gespräch findet drei Tage nach den zweiwöchigen Dreharbeiten zu Garvanlievas neuen Film „Tetovo Story“ statt. Die Tonaufnahme des Gesprächs wurden im Sommer 2017 wieder entdeckt.

 

Am Anfang kreisen die Krähen.

Biljana Garvanlieva singt „Oj devojce, devojce ti Tetovsko jabolce“

 

Kannst du dich kurz vorstellen?

Фотографијата е од денот на интервјуто

Mein Name ist Biljana Garvanlieva und das ist in kurzem meine Geschichte. Ich wurde in Skopje geboren, habe hier Dramaturgie studiert und wollte Dramatikerin werden. 1999, als ich mein erstes Theaterstück geschrieben habe und zwei Tage vor der Premiere, habe ich die ersten Bomben gehört, weil Belgrad wurde am 26. März bombardiert und diese Atmosphäre, wie vom Bosnienkrieg den wir durchgemacht haben, mit Kosovoflüchtlingen, haben meinen Raum als Künstlerin total eng gemacht. Ich konnte mich hier als Autorin einfach nicht verwirklichen und ich habe das Land verlassen.

 

Du bist direkt nach Berlin gegangen und hast den Film kennengelernt.

Was bedeutet dir das Filmemachen?

 

Liebe, Leidenschaft, Freiheit und Unsicherheit. Im Dokumentarfilm habe ich mich wieder wie zu Hause gefühlt. Ich habe meine Heimat wiedergefunden. Die ganze Zeit war ich hin und her. 1999 habe ich, nach der Bombardierung in Belgrad, ganz bewusst Skopje verlassen, also Mazedonien, wo ich im damaligen Yugoslawien, eine glückliche Kindheit hatte, denn ich konnte meinen Platz als Künstlerin in Skopje nicht finden. Ich wollte zu keiner Partei gehören. Ich wollte meine kritische Meinung frei äußern können, ohne bestraft zu werden. So bin ich nach Berlin gegangen.

 

Dort habe ich den Dokumentarfilm entdeckt. Ich mich damit angesteckt. Seit sieben Jahren bin ich jetzt dabei. Bei mir ist es immer so: Mit meinem Herzen, bin ich bei meiner biologischen Familie, bei meinen Eltern die in Mazedonien wohnen, aber mit meinem Körper bin ich bei meinem deutschen Mann, mit dem ich zwei Kinder habe. Die ganze Zeit bin ich hin und her, also immer wieder in diesen Zwischenraum, in diesem Flur war es für mich sehr bewegend, Dokumentarfilme zu machen. Im Dokumentarfilm war ein Raum, wo ich mich richtig zu Hause gefühlt habe. Das ist meine Heimat.

 

Was bedeutet dir jetzt Mazedonien?

 

Ich erlebe Mazedoniern durch die Freunde, durch die Menschen, die ich hier treffe, und durch die Sonne. Also ich fühle mich fremd in dieser Stadt. Ich hab so ein komisches Gefühl im Bauch. Alle meine Sinne werden angegriffen von diesen Statuen, die ich als eine Art Propaganda erlebe. Ich fühle mich einfach nicht wohl hier. Andererseits, es gibt so viel Liebe und Wärme, wenn ich meine Freunde einfach ich drücke, und wenn ich mit ihnen zusammen sein darf. Das ist eine Inspiration für meine Filme.

 

Was hat es mit den Statuen auf sich?

 

Der Platz in Skopje war immer eine freie Fläche. Und es war immer so ein Ort wo sich alle Leute aus der Stadt getroffen haben. Und diese Offenheit und dieser Multikulturalismus, hat Skopje und das Land als Staat geprägt. Und irgendwann einmal hat die herrschende Partei, eine konservativ-christliche Partei beschlossen, diese Barock-Statuen zu bauen um… keine Ahnung. Also ich nehme das wahr, als Angriff auf die Sinne, also einfach als eine Art Propaganda und das hat angefangen vor vier Jahren so ungefähr. Also ich finde es so schade, weil Mazedonien hatte mal die Möglichkeit gemeinsame Helden zu finden, mit den Albanern, und den Türken und den Roma und das weiterzubauen. Weil nach meiner Empfindung, also, ich kann mich mit dem Statuen irgendwie nicht identifizieren, weil ich finde sowieso die Identifikation durch Nationalität einfach Quatsch. Also für mich ist die Integration etwas, was viel wichtiger ist als die Identifikation durch Nationalität. Also die Kulturidentität ist viel wichtiger als wenn ich sage: Ich bin Mazedonier, ich meine, mein Vater kommt aus Mazedonien, meine Mutter kommt aus Bosnien, mein Ehemann kommt aus Deutschland, meine Kinder sind in Deutschland und Mazedonien groß geworden. Wer bin ich? frage ich mich und deswegen, die Frage von Identität finde ich Quatsch. Für mich ist es viel wichtiger die Frage von Integrität, und ich versuche meine Kinder so groß zu ziehen.

 

Was sind deine Hoffnungen und wovor hast du Angst?

 

Die größte Angst ist für mich, die Angst vor dem Tod. Ich habe vor einem Jahr diese Todesangst sehr intensiv erlebt, als ich die Krebsdiagnose bekommen habe. Aber ich lebe damit, lasse mich einfach inspirieren, und schaue der Angst in die Augen. Ich versuche mich, mit der Krankheit und mit meinen Ängsten, irgendwie auseinanderzusetzen.

Genauso versuche ich es in meinen Filmen, z.B.: die ethnischen Konflikte, der Konflikt zwischen Albanern und Mazedoniern 2001, die Ausbeutung der Näherinnen, die Ausbeutung der Kinder, die Tabak pflücken, das sind alles Ängste bei den Mazedoniern, die reden am liebsten nicht darüber, sondern kehren das unter den Teppich. Ich bin ein Mensch,, der gerne der Angst in die Augen schaut. Ich glaube, nur wenn man die Ängste thematisiert, wenn man die Wunden zeigt, dann heilen sie. Nur die Wunden die gezeigt werden, können geheilt werden.

 

Wie würdest du deine Träume beschreiben?

 

Oh, ich hab lange nicht geträumt Ich hab jetzt neulich wieder angefangen zu träumen. (lacht, dann längere Pause) Ja, ich habe mehr Ängste als Träume für die Zukunft. Weil es sind diese… Ich mag kein Freund von Freiheit und Unsicherheit sein, aber diese Unsicherheit im alltäglichen Leben überwiegt. Und mein Traum ist es, Filme zu machen und vielleicht bin ich ein Don Quijote, aber ich glaube fest daran, dass man mit Dokumentarfilmen doch die Welt verändern kann. Ich bin sehr glücklich, wenn zum Beispiel, die Leute die meine Filme gesehen haben, sich bei mir melden und entweder meine Protagonisten finanziell unterstützen wollen oder sie wollen in das Dorf investieren, damit es da wieder eine Schule gibt. Das macht mich unglaublich glücklich und froh.

 

Wie siehst du die Zukunft in Mazedonien?

 

(lange Pause) Tja, die Zukunft von Mazedonien? Ich habe so ein Gefühl, dass es hier alles stehen geblieben ist. Ich kann keine Zukunft für Mazedonien sehen, solange ich z.B. in den mazedonischen Familien immer wieder und regelmäßig erlebe, wie die Kinder geschlagen werden. Das ist so ein Tabu, worüber nicht gesprochen wird. Das ist eine Art der Erziehung hier. Aber diese Angst, die kleine Kinder bekommen, wenn sie schon als Kinder geschlagen worden sind, diese Ängste tauchen später auf, im Sinne von, also ich erlebe, das Mazedonien von so vielen gestressten Politikern regiert wird. Ich stelle mir vor, wie die als kleine Kinder geschlagen worden sind, wenn sie die Wahrheit gesagt haben. Die wurden, anstatt das belohnt worden sind, wurden sie verprügelt. Ich glaube, die Zukunft wird dann passieren, wenn für die Kinder diese Prügeleien aufhören werden, weil sie sind so eine Art Opfer. Also für hier, für mazedonische Zustände ist das eine ganz normale Art der Erziehung. Ich glaube, das überträgt sich dann später, wenn die Kinder erwachsen sind. All diese unterdrückenden Energien und unterdrückte Ängste, also ich sehe keine sonnige Zukunft.

 

Ich hatte auch so ein komisches Gefühl im Bauch, als ich am Platz war und die Statuen gesehen habe. Ich erlebe das nicht als meine Geschichte. Ich erlebe daß als Propaganda, und der Ort wo ich jetzt bin, den Lunapark, spüre ich als einzige freie Fläche, die hier noch in Skopje geblieben ist.

 

Es ist Schade, Mazedonien hatte die große Chance, nach der Selbstständigkeit hart daran zu arbeiten, für dieses multikulturelle Leben, das seit Jahrhunderten hier existiert, gemeinsamen Helden, gemeinsame Träume und Wünsche zu finden. Aber dieser Patriotismus, der überall so präsent ist, schließt automatisch die anderen aus. Für mich ist Patriotismus gleich Rassismus, In Mazedonien treffe ich an jeder Ecke, an jeder Straße, Albaner und Makedonier, Leute aus Bosnien, aus Rumänien und Griechenland, die immer miteinander gewohnt haben, und ich glaube, der Krieg ist deswegen nicht in Mazedonien ausgebrochen, weil die verschiedenen Nationalitäten so gut miteinander umgehen können. Alle die künstliche Parteien, diese künstliche Verteilung der Stadt in verschiedene Städte. Es ist etwas, was man ändern muss. Ich versuche das mit meinen Filmen zu ändern. Ich versuche also die andere Seite zu zeigen und über Kunst zu reden, über Jugendliche, die verschiedene Nationalitäten haben. Für die ist es egal. Hauptsache daß sie alle Menschen sind, daß sie gemeinsame Sachen haben, die gleiche Musik machen.

 

Was wünscht du dir für deine Kinder?

 

Für meine Kinder? Ich wünsch mir, daß sie Weinen können, daß sie ihre Gefühle zeigen können. Also ich finde, daß ist eine sehr wichtige Erkenntnisse im Leben. Die Erziehung hier ist so, man darf die schwache Seite nicht zeigen. Man darf nicht sagen dass man arm ist. Ich bringe meinen Kinder bei, daß es ganz natürlich ist, wenn sie traurig sind und weinen. Wenn sie wütend sind Weil diese Unterdrückung von Gefühlen, die sich hier seit Jahrhunderten gesammelt hat, z.B. so ein Bürgerkrieg in Griechenland, das sind so viele Flüchtlinge aus Griechenland nach Mazedonien gekommen. Es sind so viele Geschichten, so viele unterdrückte Gefühle und diese Energie hat sich gesammelt und irgendwann platzt dieses Pulverfass. Ich wünsch mir für meine Kinder, das sie sich für ihre Tränen nicht schämen, sie ihre Gefühle frei zeigen können, und ganz viel Liebe und Wärme den anderen Leuten geben und schenken. Ich glaub schon, diese Zärtlichkeit und Liebe in der Kommunikation der Menschen fehlt. Es ist immer dieses gestresst sein und entfremdet sein. Einfach ein purer Automatismus. Diese materialistische Welt unterdrückt das, was die meisten Menschen tief drin haben. Ich versuche auch über meine Filme irgendwie, über die kleine und menschliche Geschichte, einfach mein Statement über die Welt und die Globalisierung zu geben.

 

Hatte die Krankheit etwas positives für dich?

 

Also ich habe den Krebs nicht als Krankheit wahrgenommen, sondern als Aufgabe, in meinem Leben was zu verändern. Ich habe mich einfach gefragt, was ist jetzt für mich am wichtigsten? Sind das meine Filme oder der sind das meine Kinder? Es ist nicht so einfach, eine Filmemacherin zu sein und gleichzeitig zwei Kinder zu haben, die noch klein sind. Sie brauchen Mutter und Betreuung. Die Krankheit hat auf jeden Fall für mich gesagt: Jetzt Stop, Pause, lass dir mal Zeit und Raum, nur für dich.

Sie hat mich auch inspirieren lassen, vielleicht ein Dokumentarfilm über Machtkampf zu machen, weil diesen Machtkampf erlebe ich auch am Platz, wenn ich in Skopje spazieren gehe. Da ist immer diese Darstellung von stolzen muskelösen Männer, die auf viel höheren Podesten stehen als die Frauen. Die Darstellungen von den Frauen sind entweder als Schlampen oder als Mütter, die ihre Kinder ernähren wollen. Ich glaube, dieser Machtkampf, was man in diesen Statuen halt sieht, ist etwas was in dieser Gesellschaft auch so sehr präsent ist, deswegen sind meine Filme so, die Hauptprotagonisten sind Frauen. Ich sehe das als meine Motivation als Filmemacherin, einfach dieses traditionelle und konventionelle Bild von der Frau in Mazedonien zu brechen und sie als Heldin zu zeigen. Als jemand der weiß, was er will und sich alleine durchsetzt und das schafft, was sie sich vorgenommen hat. Ja, deswegen widme ich auch alle meine Filme den Frauen hier in Mazedonien. Normalerweise werden sie in den mazedonischen Filmen immer als Opfer gezeigt, entweder als Prostituierte oder Hausfrauen. Es gibt es kein anderes Bild.

 

 

 

|2019-02-07T04:57:37+00:0010 септември 2017|Култура|